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Gern werden im Social-Media-Marketing die Kennzahlen Engagement-Rate und Interaktionsrate komplett synonym verwendet. Oft stoße ich auf Artikel zum Thema, in denen die Bezeichnungen munter hin und her wechseln. Selbst in der Fachliteratur ist man sich nicht so wirklich einig, was genau unter dem einen oder dem anderen Begriff zu verstehen ist.

Diese Uneinigkeit liegt wohl darin begründet, dass der englische Begriff Engagement im Zusammenhang mit Social Media eben auch die Interaktion eines Nutzers mit einem Beitrag umfasst und somit ein Gefällt mir oder ein Kommentar unter einem Facebook-Beitrag mal als engagement und mal als interaction bezeichnet wird. Dazu kommt, dass die Social-Media-Dienste selber die Begriffe in verwirrender Vielfältigkeit benutzen. Und bei der Übersetzung vom Englischen ins Deutsche wird’s dann komplett wild.

Weitgehend einig ist sich die Fachwelt allerdings, dass sowohl die Engagement-Rate als auch die Interaktionsrate irgendwas damit zu tun haben, welche Beachtung ein Beitrag beim erreichten Publikum erfährt. Aber schon bei der Berechnung gibt es einen fulminanten Irrtum, dem selbst gestandene Social-Media-Leute aufsitzen können.

Wie wird die Interaktionsrate gemessen?

Gehen wir für den Moment davon aus, dass Interaktions- und Engagement-Rate tatsächlich identisch seien. (Was ich nicht glaube, dazu lesen Sie aber weiter unten noch mehr.) Viele Quellen gehen davon aus, dass die Interaktionsrate wie folgt ermittelt wird, wobei das Doppelkreuz # für die gemessene Anzahl des jeweiligen Wertes stehen soll:

(#Likes + #Kommentare + #Shares) / #Follower x 100 = Interaktionsrate

Wenn also 20 Likes, acht Kommentare und zwei Shares auf 1.000 Follower kommen, dann soll das einer Interaktionsrate von (20+8+2) / 1.000 x 100 = 3 Prozent entsprechen.

Aber das ist schon einmal kompletter Quatsch, denn die Anzahl der Follower ist in diesem Zusammenhang völlig irrelevant. Warum? Ganz einfach: Algorithmus-getriebene Plattformen wie Facebook, Instagram oder auch LinkedIn zeigen Ihre Beiträge eben nicht all Ihren Followern, sondern zunächst einmal nur einem ziemlich kleinen Teil. Der Algorithmus entscheidet in der Folge unter anderem basierend auf den daraus resultierenden Interaktionen, ob der Beitrag auch noch weiteren Followern angezeigt wird. (Hier beschreibe ich, wie der Facebook Newsfeed Algorithmus genau funktioniert.)

In unserem Beispiel werden also vielleicht insgesamt bloß 100 Follower Ihrer 1.000 gesamten Follower Ihren Beitrag gesehen haben (und das wäre bei den aktuellen Algorithmen tatsächlich sehr viele). Damit läge die Interaktionsrate dieses Beitrags wesentlich höher, nämlich bei (20+8+2) / 100 x 100 = 30 Prozent.

Wenn die Plattformen auf Basis dieser Zahlen entscheiden, dass das ein guter Wert ist, spielen sie den Beitrag auch weiteren Followern aus. Über die Zeit betrachtet sinkt dann die Interaktionsrate wieder ab. Ist der Wert von Anfang an gering, wird er einfach nicht besonders lange an weitere Follower ausgespielt werden.

Auch bei Twitter ist die Anzahl der Follower nicht sinnvoll nutzbar, weil die meisten Tweets eine unfassbar kurze Lebensdauer von nur wenigen Minuten haben, in denen niemals alle Follower online sein werden und Ihren Tweet sehen können. Die Follower-Zahl stellt also immer nur das maximale Potenzial an Sichtbarkeit dar. (Ein weiteres Problem bei dieser Herangehensweise – dass nämlich dieses maximale Potenzial durch Shares/Retweets von eigenen Followern deutlich erhöht werden kann, was zu weiteren, teils drastischen Verzerrungen führt – blenden wir an dieser Stelle mal völlig aus. Ich weise aber vorsorglich darauf hin.)

Daraus ergibt sich, dass die Gesamtzahl Ihrer Follower nicht die Bezugsgröße für die Ermittlung einer Erfolgskennzahl sein darf, sondern ausschließlich die tatsächlich erreichten Personen – und diese Zahl misst man mit dem Wert Reichweite. Hier endlich ist diese Metrik einmal nützlich – was ich ansonsten von Reichweite als Erfolgskennzahl halte, mache ich in diesem Beitrag hier ziemlich deutlich.

Wenn Laien nach der Zahl der Follower gucken und daraus irgendwas zu interpretieren versuchen, finde ich das nicht besonders schlimm. Im beruflichen Umfeld halte ich das allerdings schon für kritisch. Aber wenn selbst Analyse-Unternehmen wie etwa das ansonsten sehr von mir geschätzte Quintly diesen Fehler begeht, dann schwillt mir doch etwas der Kamm. (Quintly rechtfertigt diesen Unfug übrigens damit, dass Vergleichbarkeit zwischen allen Plattformen geschaffen werden solle, was sonst nicht gehe, weil zum Beispiel Twitter keine Reichweiten-Werte liefert, sondern nur Impressionen. Das stimmt zwar, aber dazu wiederum unten mehr.)

Korrekt müsste die Formel zur Berechnung der Interaktionsrate also lauten:

(#Likes + #Kommentare + #Shares) / #Reichweite x 100 = Interaktionsrate

Doch das ist nicht das Ende der Betrachtung, denn jetzt stoßen wir auf ein Problem, das bei dieser Betrachtungsweise völlig ignoriert wird.

Stellen Sie sich vor, ich sähe Ihren Beitrag auf Facebook. Ich interagiere mit ihm, indem ich ein Gefällt mir da lasse. Soweit, so gut. Damit können Sie die gute, alte Interaktionsrate ausrechnen. Doch was, wenn ich außerdem auch noch einen Kommentar abgebe und Ihren Beitrag teile? Dann stammen gleich drei Interaktionen von mir – einer einzigen, individuellen Person!

So sieht die Interaktionsrate natürlich oftmals ziemlich gut aus, doch die Zahl der tatsächlich interagierenden Nutzer ist im Regelfall weit geringer. Und hier müssen wir ganz klar einmal festhalten: Es interessiert mich gar nicht, wie viele Interaktionen ein Beitrag gesammelt hat (warum sollte ich das auch wissen wollen?), sondern ich will wissen, wie viele individuelle Personen sich aktiv mit meinem Inhalt auseinandergesetzt haben! Ich will wissen, wie viele Menschen im Verhältnis zu meiner Reichweite einen spezifischen Beitrag relevant fanden – denn nur so kann ich künftig bessere Beiträge produzieren, die Relevanz für noch mehr Menschen haben.

Die Engagement Rate

Wenn ich mit Ihrem Beitrag interagiere, »engagiere« ich mich dafür. Nur die Intensität variiert. Das heißt: Ich als Person muss mit der Engagement-Rate gemessen werden, nicht die Anzahl meiner Handlungen.

Facebook gibt uns sogar einen Hinweis darauf, dass die Engagement Rate und die Interaktionsrate nicht das gleiche sein können.

In den Insights, also den Statistiken einer Facebook-Seite, können die Analysedaten als Excel-Datei auf den eigenen Computer exportiert werden. In dieser Tabelle gibt es eine Spalte für die Lifetime Engaged Users. Konkret definiert Facebook diese Spalte wie folgt:

Lifetime: The number of unique people who engaged in certain ways with your Page post, for example by commenting on, liking, sharing, or clicking upon particular elements of the post. (Unique Users)

Facebook Insights Data Export (Post Level)

Auf deutsch heißt das, übersetzt durch den ziemlich intelligenten Deep-Learning-Übersetzer von deepl.com:

Lebensdauer: Die Anzahl der einzigartigen Personen, die sich auf bestimmte Weise mit Ihrem Seitenbeitrag beschäftigt haben, z.B. durch Kommentieren, Liken, Teilen oder Anklicken bestimmter Elemente des Beitrags. (Eindeutige Benutzer)

Facebook Insights Data Export (Beitragsebene)

Das heißt: Ein Engaged User ist jemand, der im englischen Sprachgebrauch engaged war. Im deutschen Sprachgebrauch hat er sich beschäftigt – vulgo: er hat interagiert.

Interaktionen sind meinem Verständnis nach also ein rein quantitativer Wert: Es geht um die Anzahl an Interaktionen wie Likes, Kommentaren, Klicks etc.

Engagement hingegen ist im qualitativen Sinne zu verstehen: Es geht um die Einbeziehung oder Einbindung eines individuellen Nutzers in meine Aktivitäten auf Social Media, die er durch seine Interaktionen deutlich macht. 

Insofern stellt die Engagement-Rate die Reichweite eines Beitrags mit den tatsächlich damit interagierenden, individuellen Nutzern in Bezug. Die Formel für die Engagement Rate lautet demnach:

#Engaged Users / #Reichweite x 100 = Engagement Rate

Wenn Ihr Beitrag eine Reichweite von 1.000 Personen hat und sämtliche Interaktionen auf zehn Individuen zurückzuführen sind, dann haben Sie eine Engagement-Rate von einem Prozent erzielt, und zwar ganz egal, wie viele Interaktionen durch diese zehn Leute zustande gekommen sind. Die Engagement-Rate kann daher niemals höher liegen als die Interaktionsrate, sondern allenfalls identisch sein.

Engagement Rate oder Interaktionsrate? Verwirrung komplett!

Nun kommt aber das eingangs besprochene Problem dazu, dass die Plattformen das für sich definieren, wie sie wollen. Kraut und Rüben! Außer Facebook spuckt auch keine andere Plattform die Zahl der individuellen Personen aus, die eine Handlung vorgenommen haben (Engaged Users), und selbst dort sind sie schwer zu finden. Dazu kommt, dass Twitter nicht einmal Werte für die Reichweite bereit hält, sondern nur die Tweet-Impressions. Das ist die Zahl der Ansichten, die ein Tweet generiert hat. Wer einen Tweet mehrfach auf dem Bildschirm hat, zählt diesen Wert auch mehrfach hoch. Barer Unsinn also. Heraus kann nur gequirlter Quatsch kommen, und das dokumentiert Twitter dann auch in seinen Analytics. Dort definiert Twitter nämlich die auf den Impressions (!) basierende Interaktionsrate so:

Die Anzahl der Interaktionen (Klicks, Retweets, Antworten, Follows und »Gefällt mir«-Angaben) dividiert durch die Gesamtzahl der Impressions.

Twitter Analytics

Hallo Twitter?? Da fehlt noch ein »multipliziert mit 100«, aber macht ja nix.

Meine Empfehlung zur Interaktionsrate und Engagement Rate

So lange es keine eindeutige Lehrbuch-Definition zur Differenzierung von Engagement Rate und Interaktionsrate gibt, werde ich in meinen Seminaren und Schulungen die hier vorgeschlagene Definition verwenden: Die Interaktionsrate ist eine Relation der zustande gekommenen Handlungen mit der Reichweite, während die Engagement Rate die handelnden Personen mit der Reichweite in Bezug setzt. Wer weiß – vielleicht setzt sich diese Definition ja irgendwann in Lehrbüchern durch? In meinem eigenen Buch, »Social-Media-Marketing für Dummies«, habe ich es still und heimlich schon einmal untergebracht… hihi.