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Zu Beginn einer Zusammenarbeit führe ich mit meinen Kunden in den meisten Fällen eine Reihe von Workshops durch, die auch das Warum und das Wie des Bloggens zur Sprache bringen. Und häufiger als ich es im 21. Jahrhundert erwarten würde gucken mich angsterfüllte Augen an, wenn es um die Kommentarfunktion eines Blogs geht. Ich habe schon Unternehmer in diesen Workshops sitzen gehabt, die rundheraus gesagt haben: »Wenn da irgendwelche Leute auf unserer Internetseite kommentieren können, dann gibt es kein Blog. Punkt.«

Nun ist es aber so: Es lohnt sich überhaupt nicht, über modernes Online-Marketing oder gar Content Marketing nachzudenken, wenn der Unternehmer ein Corporate Blog ausschließt. Punkt.

Persönlich verstehe ich die Angst vor Kommentaren nicht. Allerdings bin ich auch ein sogenannter Digital Native (engl. Ureinwohner der digitalen Welt). Ich bin ohne Berührungsängste zur digitalen Welt aufgewachsen und schon früh auf den bereits rollenden digitalen Zug aufgesprungen. Schon Anfang der 1980er Jahre hatten mein Bruder und ich einen Homecomputer im Haus, ich bin seit 1995 im Internet unterwegs und gehörte ab 1998 zu der dünnen Schicht, die sich ein (ziemlich klobiges) Mobiltelefon anschafften. Nicht etwa als Statussymbol, sondern weil ich viel unterwegs war. Mein Bruder besaß nicht einmal einen Festnetz-Anschluss, sondern ausschließlich ein Handy. Das war im letzten Jahrhundert ziemlich exotisch.

Vor ein paar Jahren fand ich übrigens mein erstes Handy wieder:

Nokia NHK-5NY vs. iPhone 4. Nur Samsung Galaxy ist größer.

Ein von Gero Pflüger (@geropflueger) gepostetes Foto am

Viele meiner Altersgenossen haben hingegen diesen digitalen Zug verpasst – oder sich gar nicht erst darum bemüht, ihn zu erreichen. Sie zählen daher bestenfalls zu den Digital Immigrants (engl. Einwanderer in die digitale Welt) oder gar zu jenen, die sich der digitalen Welt vollständig oder teilweise verweigern. Die digitale Kluft zwischen Digital Native und digitalem Verweigerer kann sehr groß sein. (Übrigens wird die Zugehörigkeit zu den Natives, Immigrants und Verweigerern nicht nach dem Alter definiert, sondern nach dem Vorhandensein digitaler Kenntnisse.)

Die Unternehmer in meinen Workshops sind ausgesprochen häufig digitale Verweigerer (nicht hingegen ihre Marketing-Leiter). Dass ihre Kunden heute keine dicken gelben Telefonbücher mehr vom Postamt in die Firma schleppen, sondern dass sie googeln, ist allerdings auch ihnen klar. Und sie wissen ebenfalls, dass sich ihr Unternehmen dem Verhalten der Kunden anpassen muss, um zu überleben. Und doch beäugen sie alles rund ums Internet mit Argwohn und möchten möglichst viel so wie früher machen – das Scheinargument »haben wir immer schon so gemacht« bzw. »haben wir noch nie so gemacht« fällt sehr häufig.

In den Anfangszeiten des Bloggens war die Kommentarfunktion, die Blog-Software wie etwa WordPress im Lieferumfang mitbringt, die bevorzugte Art und Weise von Lesern, mit den Autoren von Artikeln in Kontakt zu treten. Oftmals gab es lange Diskussionen – Threads genannt – unter einzelnen Artikeln, bei denen die Blogger munter mitmischten. Häufig wurden sie hier auf Mängel in ihrer Argumentation aufmerksam gemacht oder sie bekamen eine neue Sichtweise auf das Thema vermittelt. Viele Blogger überarbeiteten ihre Artikel dann und machten sie so besser. Aber es entstanden auch sogenannte Flamewars, in denen die Diskussionsteilnehmer auf aggressive Weise ihre Meinung anderen überzustülpen versuchten – und das oft initiiert durch die gefürchteten Trolle.

Mittlerweile wird unter Blogs erheblich seltener kommentiert; die großen Kommentarmengen wie früher gibt es im Regelfall nicht mehr, schon gar nicht bei Unternehmensblogs. Für Kommentare werden eher die sozialen Medien genutzt, auf denen Links zu den eigentlichen Blogbeiträgen gesetzt werden. Hier fällt es auch den Trollen leichter, ihr Publikum zu finden. In regulären Blogs tummeln sie sich kaum noch.

Die Kommentarfunktion im Corporate Blog

Was ist jetzt also so schlimm an Kommentaren auf dem Corporate Blog? Natürlich frage ich jedes Mal nach. Und so kommen etliche (scheinbare) Gründe zusammen. Doch am häufigsten höre ich diese drei:

  • Angst vor allgemeiner Kritik am Unternehmen, den Produkten oder der Dienstleistung
  • Angst vor einem Shitstorm
  • Angst vor Kontrollverlust

Zeit, mit diesem Unfug aufzuräumen. Ein Blog ohne Kommentarfunktion ist kein Blog, sondern eine langweilige Verlautbarungsmaschine. Also trauen Sie sich! Aktivieren Sie die Kommentare!

Angst vor Kritik
Wenn auf Ihrem Blog tatsächlich mal Kritik auftauchen sollte, dann seien Sie froh und dankbar – denn Sie bekommen wertvolles Feedback, ganz ohne teures Meinungsforschungsinstitut! Machen Sie aus destruktiver Kritik konstruktive Kritik, indem Sie nachfragen, was genau enttäuschend ist, was genau besser gemacht werden könnte, was genau der Kunde erwartet etc. Lassen Sie den Kritiker wissen, dass seine Einschätzungen für Ihr Unternehmen wertvoll sind. Geben Sie die Kritik an Ihre Produktentwicklung, das Qualitätsmanagement oder andere zuständige Stellen weiter. Wenn die Wünsche des Kritikers sich nicht umsetzen lassen, erläutern Sie die Gründe dafür. Sie verwandeln so einen unzufriedenen Kunden in jemanden, der eine neutrale bis positive Haltung Ihnen gegenüber hat. Und viele stille Mitleser erreichen Sie gleich nebenher mit.

Angst vor einem Shitstorm
Ein Shitstorm ist eine Flut negativer Kommentare auf unterstem Niveau, in der Regel völlig ohne Sachbezug oder fachlichen Inhalt. Diese Shitstorms entstehen so gut wie nie in den Kommentaren von Blogs, denn hier verbreitet sich der Quatsch einfach nicht so gut wie etwa auf Facebook mit seiner einfachen und unkontrollierbaren Möglichkeit, den Beitrag zu teilen (siehe auch den nächsten Absatz). Und selbst wenn: Das beste, was Ihnen bei einem Shitstorm passieren kann, ist ein Shitstorm im eigenen Blog. Warum, erläutere ich in diesem Artikel.

Angst vor Kontrollverlust
»Wenn da jeder kommentieren kann, steht da ja jede Menge Unfug drin!« So oder so ähnlich höre ich immer wieder Befürchtungen. Nein, keine Sorge. WordPress bietet verschiedene Möglichkeiten der Moderation. Zum Beispiel können Sie die Funktion so einstellen, dass jeder einzelne Kommentar durch einen Administrator freigeschaltet werden muss. Eine andere Möglichkeit ist, nur den ersten Kommentar eines Nutzers freizuschalten – danach darf er dann schreiben, ohne erneut kontrolliert zu werden. (So können übrigens Shitstorms eine ziemlich einsame Sache für den auslösenden Nutzer werden. Siehe einen Absatz zuvor.) Auch können Sie selbstverständlich Kommentare löschen. Das sollten Sie allerdings nur sehr spärlich machen und dann genau erläutern, warum Sie sich zum Löschen entschieden haben. Und nein, Löschen von Kommentaren ist keine Zensur. Sie üben lediglich Ihr digitales Hausrecht aus.

Unabhängig von der Entkräftung gängiger Vorurteile gegenüber der Kommentarfunktion eines Corporate Blogs gibt es natürlich auch noch diverse Vorteile:

Augenhöhe
Ein Unternehmen, das sich den Kommentaren seiner Kunden öffentlich stellt, begibt sich auf Augenhöhe mit seinen Kunden. Das macht das Unternehmen sympathisch.

Transparenz
Durch die Beantwortung von Kommentaren, die oftmals Fragen darstellen, kann ein Unternehmen transparenter werden. Auch dies macht ein Unternehmen sympathisch.

Anonymität wird aufgegeben
Ein Unternehmen, das sich seinen Kunden stellt und mit ihnen kommuniziert, gibt ein Stück weit seine kalte Anonymität als Organisation auf und lässt es »menscheln«. Auch das macht das Unternehmen sympathisch.

»Ja aber«, möchten Sie jetzt vielleicht gerne einwerfen. »Welchen Nutzen hat mein Unternehmen denn davon, wenn es sympathisch ist?« Nun, die Antwort auf diese Frage geben Ihnen möglicherweise Unternehmen wie der Autovermieter Sixt, die Baumarkt-Kette Hornbach, der Supermarkt-Riese Edeka oder der Spielzeug-Hersteller LEGO.

Wenn Sie weitere Gründe für oder wider die Aktivierung der Kommentarfunktion haben, dann… naja: Schreiben Sie sie in die Kommentare!

Update, 7. Januar 2017: Es gibt noch eine rechtliche Komponente, die es bei Kommentaren zu berücksichtigen gilt. Der Inhaber des Blogs ist verpflichtet, Kommentare auf eventuelle Rechtsverstöße zu prüfen. Danke für den Hinweis an Rudolf Moser auf Twitter: